Die RCH 155 (Remote Controlled Howitzer 155) wurde als Antwort auf die steigenden Anforderungen an mobile und automatisierte Artilleriesysteme im 21. Jahrhundert entwickelt. Dieses hochmoderne Waffensystem wurde vom deutschen Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann (KMW) konzipiert, das zuvor mit der Panzerhaubitze 2000 weltweit große Erfolge verzeichnet hatte. Die Entwicklung begann in den frühen 2010er-Jahren mit dem Ziel, die Feuerkraft und Reichweite eines traditionellen Artilleriesystems mit der Mobilität und Effizienz eines Radfahrzeugs zu kombinieren.
Die RCH 155 wurde erstmals im Jahr 2014 der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie basiert auf dem Boxer-Radfahrzeug, einem hochmobilen und modularen Mehrzweckpanzer, und nutzt den bewährten 155-mm-Artillerieturm, der aus der Panzerhaubitze 2000 abgeleitet wurde. Die RCH 155 markiert einen bedeutenden Fortschritt, da sie nahezu vollständig automatisiert ist und mit einem Minimum an Besatzung betrieben werden kann.
Der erste geplante Einsatz in Konflikten oder Tests mit Exportkunden wurde auf das Jahr 2020+ geschätzt, wobei Länder wie die Ukraine Interesse zeigten.
Technische Details
Die RCH 155 ist ein automatisiertes Artilleriesystem, das auf dem hochmobilen Boxer 8×8-Radfahrzeug basiert und mit dem bewährten 155-mm-Artillerieturm der Panzerhaubitze 2000 ausgestattet ist. Die Hauptwaffe ist eine 155-mm-Kanone mit einer Rohrlänge von 52 Kalibern, was ihr eine maximale Reichweite von bis zu 40 Kilometern mit Standardmunition und über 50 Kilometern mit gelenkter Munition ermöglicht. Für die Feuerkontrolle wird ein modernes, computergestütztes System eingesetzt, das präzises und schnelles Schießen auf bewegliche und feste Ziele ermöglicht.
Die RCH 155 benötigt nur zwei Besatzungsmitglieder, die das System vollständig aus dem gepanzerten Führerhaus steuern können. Durch den hohen Automatisierungsgrad wird der gesamte Ladevorgang, Zielerfassung und Abschussprozess ohne manuelles Eingreifen durchgeführt. Dies reduziert nicht nur die Personalanforderungen, sondern erhöht auch die Sicherheit der Besatzung in Gefechtssituationen.
Das Fahrzeug wiegt etwa 39 Tonnen und kann Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/h auf Straßen erreichen. Es ist luftverladbar und bietet eine hohe taktische Mobilität. Darüber hinaus kann die RCH 155 mit verschiedenen Munitionsarten ausgestattet werden, darunter hochexplosive Geschosse (HE), präzisionsgelenkte Munition (z. B. Excalibur) und Cluster-Munition, die je nach Einsatzszenario verwendet werden können.
Konstruktion
Die RCH 155 zeichnet sich durch eine modulare und hochmoderne Konstruktion aus, die auf dem Boxer 8×8-Radfahrzeug basiert. Dieses Fahrzeug dient als Trägerplattform und bietet eine Kombination aus Mobilität, Schutz und Tragfähigkeit. Der Aufbau der RCH 155 besteht hauptsächlich aus hochfestem Panzerstahl, der den Besatzungsbereich und die kritischen Komponenten vor ballistischen Bedrohungen und Explosionen schützt.
Der integrierte Artillerieturm, bekannt als AGM (Artillery Gun Module), ist das Herzstück des Systems und wurde speziell für automatisierte Operationen entwickelt. Der Turm ist aus hochfesten Leichtbaumaterialien gefertigt, um Gewicht zu reduzieren und die Stabilität zu gewährleisten. Dank des modularen Designs kann der Turm auch auf anderen Fahrzeugplattformen integriert werden.
Die Herstellung der Radhaubitze ist technisch anspruchsvoll und kostspielig, da sie hochpräzise Elektronik, Sensorik und automatisierte Ladeeinrichtungen enthält. Fortschritte in der Digitalisierung und der Antriebsmechanik haben es ermöglicht, das System nahezu autonom zu betreiben und gleichzeitig seine Zuverlässigkeit im Einsatz zu maximieren. Der technische Fortschritt ermöglicht zudem die Integration moderner Steuerungssysteme wie C4ISR (Command, Control, Communications, Computers, Intelligence, Surveillance, and Reconnaissance).
Unterkategorien
Die RCH 155 existiert derzeit in ihrer Standardkonfiguration, die auf dem Boxer-Radfahrzeug basiert. Es gibt jedoch Überlegungen und Ansätze zur Entwicklung zusätzlicher Varianten, um das System an unterschiedliche Einsatzanforderungen und Fahrzeugplattformen anzupassen.
Eine potenzielle Variante wäre die Integration des Artillery Gun Modules (AGM) auf Kettenfahrzeuge oder andere Radfahrzeugplattformen, um die Interoperabilität mit bestehenden Waffensystemen in internationalen Streitkräften zu erhöhen. Weiterhin könnte die RCH 155 mit zusätzlicher Sensorik oder Drohnensystemen ausgestattet werden, um Ziele in Echtzeit zu erfassen und die Reichweite sowie Präzision weiter zu erhöhen.
Zusätzlich wird über zukünftige Verbesserungen nachgedacht, darunter erweiterte Munitionskapazitäten und die Integration von Laser- oder Satellitensteuerungssystemen zur Zielverfolgung. Diese Weiterentwicklungen könnten das Einsatzspektrum und die Exportfähigkeit der RCH 155 erweitern.
Einsatz in bedeutenden Konflikten
Die Haubitze wurde bislang vor allem in der Planungs- und Entwicklungsphase für den Einsatz in zukünftigen Konflikten betrachtet. Während des russisch-ukrainischen Kriegs zeigte sich ein verstärkter Bedarf an hochmobilen und präzisen Artilleriesystemen, was das Interesse an der RCH 155 stark erhöhte. Die Ukraine ist eines der ersten Länder, das die Beschaffung des Systems in Betracht zog, um ihre Artilleriekapazitäten im Kampf gegen die russische Invasion zu stärken. Im Jahr 2022 wurde ein potenzieller Vertrag zwischen Deutschland und der Ukraine über die Lieferung von mehreren RCH 155-Einheiten diskutiert.
Das System ist besonders für asymmetrische Konflikte geeignet, in denen hohe Mobilität, schnelle Einsatzfähigkeit und Präzision entscheidend sind. Mit der Fähigkeit, nach einem einzigen Schuss (Shoot-and-Scoot-Taktik) schnell den Standort zu wechseln, minimiert die RCH 155 die Gefahr von Gegenangriffen. In Kombination mit gelenkter Munition könnte die RCH 155 in künftigen Konflikten eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung bodengebundener Operationen spielen.
Bekannte Spitznamen
Die RCH 155 ist bislang unter ihrem offiziellen Namen bekannt und hat sich in den Streitkräften sowie in Fachkreisen keinen gebräuchlichen Spitznamen erworben. In Anlehnung an ihr modulares Design und die Herkunft von der Panzerhaubitze 2000 wird sie gelegentlich als „Boxer-Haubitze“ bezeichnet, allerdings ist dies keine offizielle Bezeichnung.
Quellen
- Krauss-Maffei Wegmann (KMW). Produktinformationen zur RCH 155. Offizielle Website. Zugriff unter: https://www.kmweg.com
- Jane’s Defence Weekly. „RCH 155: A Game-Changing Howitzer“, Ausgabe 2022.
- BMVg – Bundesministerium der Verteidigung. Berichte zur Modernisierung der Bundeswehr, Stand 2022.
- Defense News. „Ukraine’s Interest in Advanced Artillery Systems“, veröffentlicht am 15. Juli 2022.
- Scholz, M. (2021). Moderne Artilleriesysteme: Entwicklung und Einsatzmöglichkeiten. Berlin: Springer-Verlag.
- Army Recognition. „Boxer RCH 155 – Technische Daten und Einsatzmöglichkeiten“, Zugriff unter: https://www.armyrecognition.com
Beitragsbild: Von Foto: Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG – https://www.kmweg.de/news-media/fotos/bildmaterial/category/rch-155-1/, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=123087495